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h-Moll-Messe | Johann Sebastian Bach | 23.04.2023

Rheinische Post RP-online
Montag, 24. April 2023


Bachs h-Moll-Messe in der Johanneskirche

Präzise und prachtvoll

Kantor Wolfgang Abendroth

Johanneskantor Wolfgang Abendroth
Foto: Andreas Bretz

Düsseldorf. Wolfgang Abendroth dirigierte eine bejubelte Aufführung von Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe in der Düsseldorfer Johanneskirche.

Als Wolfgang Abendroth Chor und Orchester den Einsatz zum einleitenden Kyrie der einzigen vollständigen Messvertonung Bachs gab, breiteten sich dank der zwar präzisen, aber unaufgeregten Zeichengebung des Kantors Ruhe und Ausgeglichenheit aus, die Akteure und Publikum gefangen nahmen. Frische, durchdachte Artikulation und Durchsichtigkeit bestimmten das blühende Klangbild – doch ohne jede Atemlosigkeit.

Abendroth hatte seinen groß besetzten Chor vorbildlich geschult – selbst komplizierteste Passagen bewältigten die Sängerinnen und Sänger souverän, homogen, höhensicher, klar in der Diktion und, wenn geboten, mit prachtvoller Klangentfaltung.

Das in Essen angesiedelte Kammerorchester »Les Essences« strebt nach Interpretationen, »die klar konturiert sind und jeder kritischen Betrachtung standhalten.« Die überwiegend jungen Musikerinnen und Musiker entsprachen diesem Bekenntnis sowohl im sorgfältig ausbalancierten Gesamtklang als auch in hochrangigen solistischen Beiträgen (Violine, Cello, Querflöte, Oboen, Englischhorn, Horn und Trompeten).

Die Sopranistin Sophie Klußmann überzeugte mit der lyrisch timbrierten Ausdruckskraft ihres höhensicheren Soprans, auch ergänzte sie sich im »Christe eleison« bestens mit der Altistin Elvira Bill. Obwohl eher für die Bühne geeignet, konnte der Chilene Patricio Arroyo-Lesuisse mit angenehm dunkel timbriertem Tenor und engagierter Interpretation sehr gefallen. Tomas Kildišius, noch im Masterstudium, verfügt über einen profunden, bruchlos geführten Bass und beachtliche Gestaltungsintensität. Solistischer Höhepunkt aber war das »Agnus Dei«, dem Elvira Bill alle Facetten ihrer Stimme und ihrer Persönlichkeit zuteil werden ließ.

Nachdem der Chor im »Dona nobis pacem« vielstimmig um Frieden gebeten hatte, brach – nach kurzem Innehalten – in der voll besetzten Kirche langer Jubel Bahn, als Dank für eine maßstäbliche Aufführung.

HEIDE OEHMEN


Mittwoch, 26. April 2023


Verzauberte Tiefe

Aufführung

Foto: Daniela Ciccolini

Bachs h-Moll-Messe ist in jeder Hinsicht eine weite Reise. Die bewegende Aufführung der Düsseldorfer Johanneskantorei unter Wolfgang Abendroth ist es nicht weniger. Als der 120-Minuten-Parcours in der strahlenden D-Dur-Positivität des Dona nobis pacem, herrlich mit Pauken und Trompeten, ans Ziel kommt und der Jubel in der vollbesetzten Johanneskirche keine Grenzen kennt, erreicht eine einjährige Probenphase mit verschobenen Aufführungsterminen ebenfalls ihr glückliches Finale. Verdienst eines Johanneskirchen-Kantors, der es schafft, seinen Chor motiviert zu halten. Mit Stehvermögen, mit Überzeugungskraft, mit Liebe zur Musik. Stete Energiezufuhr und ein Funke, der überspringt, um sich in einem Aufführungswunder zu entladen.

Ein Wort, das an dieser Stelle keineswegs zu hoch gegriffen scheint. Wer mitbekommen hat, wie die Choristen, zumal in den Endproben, an die Grenzen ihrer stimmlichen Belastungsfähigkeit gegangen sind, kann nur staunen, wie der Chor der Gefahr, sich festzusingen, begegnet. Eine Untiefe, die umsegelt wird, indem die Kantorei das federnde, das schwebend-weiche Dirigieren, das Abendroth fast über die gesamte Strecke beibehält, in sich aufnimmt. Nichts sich verfestigen lassen, jede Anstrengung unangestrengt angehen, Kräfte einteilen. Ein Grundsatz, den der künstlerische Leiter am Pult vormacht, vorlebt, so seinen Choristen dazu verhilft, die gefühlt unendliche Reise dieses Monuments der orchestralen Vokalkomposition zu meistern – und zwar mit Bravour. Ein Laienchor wächst über sich hinaus, betritt das Kraftfeld künstlerischer Professionalität. Man kann nur gratulieren.

Eine inspirierte Aufführung wie die der Johanneskantorei Düsseldorf vermittelt indes noch etwas anderes. Der auskomponierte Abwechslungsreichtum einer Bachschen h-Moll-Messe braucht unbedingt ausführende Solisten mit Sinn für die Anmut der kammermusikalischen Inseln, die zwischen den orchestral abgestützten Chorblöcken hervorleuchten. Genau das macht dann den Unterschied. Und so wird das Düsseldorfer Aufführungswunder perfekt. Was unmittelbar überführt zu den vier exzellenten Sängern dieser Aufführung, zu Sophie Klußmann und Elvira Bill, zu Patricio Arroyo-Lesuisse und Tomas Kildišius einerseits, aber auch zu den vier Instrumentalsolisten andererseits, die nur allzu oft unerwähnt bleiben, obwohl sie den Zauber dieser Arien-Inseln ja entscheidend mitgestalten.

Wolfgang Abendroth
Wolfgang Abendroth – Foto: Dirk Fried Karnath

Etwa Önder Baloglu, der Violinist und Gründer von Les Essences, einem Orchester, das der Düsseldorfer h-Moll-Messe insgesamt ihre transparente Farbigkeit verleiht. Im Laudamus te korrespondiert Baloglus feinsilbriges Geigenspiel genial mit dem schlanken Sopran von Sophie Klußmann. Beide mit spritzigen Trillern auf den Sechzehntel-Ketten. Das belebende Prinzip von Schaumwein. Oder gleich zu Anfang, wenn nach der dunklen h-Moll-Ekstatik des ersten Kyrie eleison die Stimmung wechselt, wenn, bei Bach singulär, zwei Frauenstimmen im Christe eleison zusammentreten. In diesem Fall als wunderbar harmonierendes Duo Klußmann und Bill; ganz die streicherbegleitete Innigkeit. Im Et in unum, im zweiten Teil, greifen sie ihre Charmeoffensive noch einmal auf, dann begleitet von Blanca Gleisner, Solo-Oboistin im Sinfonieorchester Aachen.

In den Glanz, den namentlich die beiden Frauenstimmen in die Aufführung tragen, fügt sich am nächsten der fein timbrierte Tenor von Patricio Arroyo-Lesuisse, sei es im Domine Deus mit Sophie Klußmann oder allein im Benedictus. In beiden Fällen sekundieren die zart-schwebenden Flötentöne, die Günter Vallery, langjähriger Soloflötist im Beethoven-Orchester Bonn, seinem Instrument abzugewinnen versteht. Und mit Bass-Bariton Kildišius versteht es schließlich ein ganz junger, noch im Masterstudium stehender Sänger, sich wie selbstverständlich zu integrieren, das hohe Niveau zu halten. In Et in spiritum sanctum zeichnet Kildišius seine lyrischen Linien, ohne das Text-Syllabische zu verunklaren. Im Quoniam tu solus sanctus kommt dank kerniger Cornu-da-caccia-Klänge frischer Wind auf, geblasen von Mahir Kalmik, Horn-Professor an der Robert-Schumann-Hochschule. Das Prinzip Abwechslung noch einmal ganz anders.

Welche Intimität und Innigkeit ausgerechnet eine h-Moll-Messe ausstrahlen kann, das lässt sich, wie im Brennglas, schlussendlich den beiden Solo-Arien der Altistin Bill ablauschen. Zwei faszinierende Auftritte, die beglaubigen, was an ihrer Art, Gesangspartien anzulegen, gerühmt wird: Ruhe und Natürlichkeit. Im Qui sedes zieht sie, unterstützt von Oboistin Gleisner, aus unscheinbaren Halbton-Reibungen crescendierende Linien und, kurz vorm lösend-erlösenden Chorfinale des Dona nobis pacem, führt die so angenehm-unspektakulär auftretende Sängerin ein dankbares Publikum in die verzauberte Tiefe eines streicherbegleiteten Agnus Dei. Alles wird gut, heißt das.

GEORG BECK