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Missa da Requiem | Guiseppe Verdi | 19.11.2000

Rheinische Post
Dienstag, den 21. November 2000


Johanneskirche: Verdis »Requiem« unter Vogelsänger

Mehr Mut bitte zur Dramatik

Die gute Nachricht zuerst: Die Johanneskantorei ist wieder ein solider Klangkörper, der einen Brocken wie das Verdi-Requiem meistert. Der Chor hat turbulente Zeiten hinter sich. Nach der langen Ära Almut Rößler folgte die kurze Ära Luchterhandt.

Nach dessen Weggang wurde Joachim Vogelsänger Kantor, etliche Austritte in der alten Mannschaft folgten; Vogelsänger brachte massig Stimmen aus der Kreuzkantorei mit. Eine schwierige Zeit des Zusammenraufens und -wachsens wollte bewältigt sein. Das scheint nach einem halben Jahr geglückt.

Zu Beginn klang der Chor noch etwas spannungslos, die Stimmgebung verflachte die italienischen Vokale; die Intonation neigte sich schon bedenklich in Richtung Schwerkraft, dann aber war man warmgesungen und steigerte sich zum Schluss hin immer mehr.

Vogelsänger ging die Sache mit Bedacht an. Verdis »beste Oper«, wie böse Zungen sein Requiem gar nicht so abwegig beschrieben haben, ist kein Werk der stillen Einkehr. Es braucht sinnliche Kraft, das Brio der italienischen Oper, jenseitige Mystik und diesseitigen Geschützdonner gleichermaßen. Das jüngste Gericht »Dies Irae« ist mit durchaus handfestem Schrecken ausgestattet.

Schöner Streicherteppich

Vogelsänger ist aber kein Opern-Mann, kein Dompteur der Massen. Sein Stil ist feingliedrig, die Geste weich, der Ansatz analytisch. Das bekommt Verdi streckenweise ausgezeichnet, dann wieder wünschte man sich einfach etwas mehr Mut zu Dramatik.

Die Westdeutschen Sinfoniker reagierten aufmerksam, ein schöner Streicherteppich lag vor der mit gemäßigtem Dampf spielenden Blechwand, die Schlagwerker hielten nobel an sich. Dennoch verschwamm in der sehr komfortablen Kirchenakustik manches; die Koordination zwischen Chor und Orchester wackelte hie und da, auch intonatorisch schien man nicht immer einer Meinung zu sein. Das lag offenbar daran, dass man einander gegenseitig nicht gut hören konnte.

Am Ende ergriffenes Schweigen

Noch offenbarer wurde das Problem im Zusammenhang mit dem ohnehin sehr heterogen ausgestatteten Solistenquartett. Joneva Kaylen sang ohne ersichtliche Anstrengung ihre mörderische Sopranpartie, tremolierte aber leider so heftig, dass die angepeilten Töne oft nur sehr schwer in den Terzen-großen Anschlägen ausgemacht werden konnten. Mit einheitlich heller Stimmfärbung wurde sie in tiefen »Tremens«-Tönen im »Libera me« auch nur unzureichend gerecht.

Renée Morlocs Mezzo hinterließ mit satter Stimmgebung und bruchloser Tiefe einen souveränen Eindruck. Bruce Rankin, Tenor, sang mit großer Anstrengung und hatte sowohl mit den hohen Tönen – die zwar kamen, aber keine reine Freude waren – als auch mit Piano-Passagen sichtbare Mühe und Intonationsprobleme. Martin Blasius zeigte sonore Basstöne, Mut zum Piano und sichere, wenn auch etwas steife Höhen. Zu einem homogenen Ensemble allerdings wollte sich dieses Quartett nicht runden.

So blieb ein insgesamt unklarer Eindruck. Intensive Momente, schöne Stellen. Aus einem Guss aber war dieser Konzertabend keineswegs. Und trotzdem: ergriffenes Schweigen hernach, das sich schließlich in begeisterten Applaus löste.

REGINE MÜLLER

Westdeutsche Zeitung
Dienstag, den 21. November 2000


Vehement zwischen Bangen und Hoffen

Guiseppe Verdis »Requiem« in der Johanneskirche aufgeführt, unter der Leitung von Joachim Vogelsänger.

Lachende Sänger beim Bürgermeisterempfang
Verdi dirigiert: hier zwar nicht das hochdramatische »Requiem« von 1873/74, sondern seine »Aida« in Paris 1880.
Foto: AKG

Ein mächtiges, komplexes Werk, in acht Monaten verfasst: Verdis »Requiem« verlangt seinen Interpreten immensen Kraftaufwand ab. Joachim Vogelsänger gelang es, den spannungsvollen Wechsel zwischen Ruhe und Sturm angesichts der letzten Stunde kongenial auszudeuten. So gut wie alles stimmte in der Aufführung. Den Beginn machte eine gewaltige Konzentration im Pianissimo, der Chor wagte nur zu flüstern: »Requiem aeternam«; dann stieg aus den Kantilenen das »Kyrie« auf, malten sich in Flehen und Hoffen die Seelenfärbungen aus, brachte das Ende den Schimmer friedlicher Erlösung. Mit Urgewalt brach das »Dies irae« herein. Die engschrittigen Intervalle in den Chorstimmen bezeugten die Orientierungslosigkeit einer von Panik ergriffenen Menschheit. Der wie von kollektiver Angst gebündelten Frage »Quantus tremor est futurus« folgte der ruhige, bestimmte Ruf der Bläser: Frage und Antwort auch hier, zumal ein Teil der Bläser im Portal gegenüber Chor und Orchester positioniert war.

Schön ausgespielt auch der Kontrast von Soli und Chören: Der Schar der Bittenden wurde zum Ende des zweiten Satzes solistisch ein fast sanftes »Judicando homo reus« (die Schuld des Einzelnen) gegengeführt. Die Solisten, alle vom Opernfach, waren gut gewählt: Der vibratolose profunde Bass von Martin Blasius mahnte unerbittlich und ernst und ließ das »Oro supplex« wie einen einsamen Hilferuf vor dem erneuten Choreinsatz mit dem machtvollen »Dies irae« ertönen.

Überragend die Mezzosopranistin Renée Morloc; sie gestaltete ihren Part stimmgewaltig und klar, in den leisen Registern einfühlsam. Das »nil inultum remanebit« führte sie sicher in die feinen Glockenschläge, mit denen die Ankündigung des Jüngsten Gerichts ausklang.

Beim innigen, perfekt abgestimmten Duo des »Recordare, Jesu pie« entfaltete die Sopranistin Joneva Kaylen Weite, tragfähig vor allem in den Höhen. Stimmlich leider etwas indisponiert schien der Tenor Bruce Rankin. Schade, denn im Duogesang des secchsten Satzes »lux aeterna« mit dem Mezzo wirkte er entspannter bei sehr angenehmen Timbre. Nach dem bangen letzten »Libera me« Stille vor dem brandenden Applaus. Der abgekämpfte Vogelsänger konnte auf eine Leistung zurückblicken.

(grün)

Heft 5/2003


Design: Fons Hickmann

Berlin-Kreuzberg, Mariannenplatz: Wo ehemals Hausbesetzer aktiv waren, ist es heute ruhig geworden. Rein äußerlich liegt hier nichts mehr Trend. Wer chic und hip ist, tummelt sich in der neuen Berliner Mitte oder am Prenzlauer Berg. Außer denen, die Gegentrends setzen, wie der Grafikdesigner Fons Hickmann, der hier zusammen mit seiner Partnerin Gesine Grotrian-Steinweg ein Designstudio betreibt. Der 37-Jährige, im Ruhrgebiet geboren, studierte Visuelle Kommunikation und Kommunikationsdesign in Düsseldorf und Wuppertal. Früh interessierte er sich auch für Philosophie, Medientheorie und Kunst. Für seine Arbeiten wurde er international mehrfach ausgezeichnet. 2003 erhielt er vom Type Directors Club of New York gleich fünf Awards, unter anderem für den Katalog zu der Wiener Ausstellung "Displace Yourself!", die unveröffentlichte Arbeiten vom ihm zeigte. Seit 1997 ist Fons Hickmann auch in der Lehre tätig. Zurzeit arbeitet er – neben seiner praktischen Tätigkeit in Berlin – als Professor für Grafikdesign an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.

[...]

Viele Ihrer Arbeiten tragen Botschaften, sind provokant angelegt. Etwa die Plakate, die Sie für die Johanneskantorei in Düsseldorf realisiert haben. Auf einem der Plakate blüht roter Mohn auf einem Minenfeld.

Plakat zur Aufführung des Verdi-Requiems

Thematisch ging es um drei Konzerte, die meist in der Weihnachtszeit gespielt werden: die Johannespassion, das Requiem und den Messias. Klassischer Stoff also. Aber kaum jemand kümmert sich um die Texte, die dahinter stehen. Dabei haben die es wirklich in sich. Es geht um Blut, Schmerz und Tränen. Und um Opfer. All diese Dinge, die wir heute auch wahrnehmen, aber nicht mehr verbinden mit klassischer Musik. Ich habe sozusagen aus dem Thema heraus gearbeitet.

Worum ging es Ihnen dabei?

Bestimmt nicht darum, ein raffiniertes typografisches Plakat zu machen, das Musik visualisiert, sondern vielmehr um die Frage: Wie kann ich es schaffen, die Thematik in unsere Zeit zu transportieren? Da fielen mir die Fotografien auf, die Wolfgang Bellwinkel in Bosnien gemacht hat. So genannte Nachkriegsfotografie. Seine Fotos haben eine sehr subtile und starke Ausstrahlung und bringen genau das rüber, was ich kommunizieren wollte. Vordergründig wollte ich keinesfalls provozieren.

Trotzdem benutzen Sie Provokation häufig als Stilmittel.

Das ist eigentlich nie mein Ziel. Meine Arbeiten provozieren häufig aus sich selbst heraus, was mich manchmal sehr überrascht. Wenn man versucht, etwas auszudrücken, Inhalte auf den Punkt zu bringen, dann wirkt das auf manche Leute provokant. Das hat dann aber auch seine Berechtigung.

[...]

ERNESTINE VON DER OSTEN-SACKEN

Matthäus-Passion | Johann Sebastian Bach | 20.04.2000

Rheinische Post
Dienstag, den 25. April 2000


Johanneskirche: J. S. Bachs Matthäuspassion in Mendelssohns Fassung

Mit Klarinetten und vielen Strichen

An historische Aufführungspraxis barocker Musik haben wir uns allenthalben gewöhnt; die Vorzüge transparenter Spielweise sind ebenso selbstverständlich geworden wie die Texttreue, die zu verletzen heutzutage schon mehr als kühn erscheint. Um so irritierender, dass mit Gerhard Luchterhandt ein lupenrein "authentischer" Musikus die Bachsche Matthäuspassion in abgespeckter, um nicht zu sagen verstümmelter Form in der Johanneskirche erklingen ließ.

Natürlich war er im letzten Konzert seiner Amtszeit nicht plötzlich von allen guten Geistern verlassen. Authentisch ging es auch diesmal zu – aber nicht authentisch barock, sondern authentisch 19. Jahrhundert. Felix Mendelssohn Bartholdy leitete 1829 mit der Aufführung der Matthäuspassion die Renaissance Bachs ein; zwölf Jahre später verantwortete er eine neue Fassung für Leipzig, die jetzt in Düsseldorf aufgeführt wurde.

Ein Hammerflügel übernimmt den Cembalo-Part, die tiefen Oboen sind durch Klarinetten ersetzt, der Streicherklang ist weicher. Entscheidender sind Mendelssohns Eingriffe in den musikalischen Ablauf. Zahlreiche Arien sind gestrichen, die mörderische Evangelistenpartie ist an exponierten Stellen nach unten oktaviert, manches Dacapo entfällt.

Den Bachianer schmerzt das. Der symmetrische Aufbau ist dahin, die Anschlüsse passen in der Tonartenlogik nicht mehr, es knirscht und knackt in den Fugen der Architektur Bachs.

Trotz der Fülle schlank

Vor allem leidet der meditative Charakter der Passion; das Innehalten und Kommentieren kommt zu kurz; die theologische Aussage wird kärglicher. Hingegen hat Mendelssohn die Chöre unangetastet gelassen, von den Chorälen zuweilen nur die zweite Strophe gestrichen.

So nähert sich diese Matthäuspassion etwas der dramatischeren Johannespassion an, in deren Zentrum die Chöre stehen. Luchterhandt stellte dem schmal besetzten Bach-Collegium die üppig besetzten Chöre der Johanneskantorei und des Figuralchors gegenüber.

Trotz der Fülle war das Ergebnis durchhörbar, schlank geführt und von schöner Präzision gesegnet. Stilistisch versuchte Luchterhandt barocke Kenntnisse mit Zugeständnissen an die Romantik zu vereinen. Straffe Tempi und leichte Tongebung gingen frisch voran, manch bauchiges Ritardando klang romantisch entlehnt.

Bei der Wahl der Solisten war das Glück nicht durchgängig auf Luchterhandts Seite. Max Ciolek gab einen geschmeidigen Evangelisten, der präsent und geschmackvoll formulierte, Heidrun Luchterhandt sang mit ausgeglichen geführtem Sopran ihre Arien; besonders schön die zentrale "Aus Liebe"-Arie.

Shirin Partovis Alt klang immer eine Spur zu tief und von fester, unbeweglicher Substanz. Auch Volker Philippi verschenkte die Christusworte durch angestrengte, stets zu tief intonierte und dazu schwer verständliche Stimmgebung.

Erik Frithjofs Bass wirkte blass und bisweilen etwas ungehobelt. Eine interessante, aber irritierende Version. Das Original ist allemal vorzuziehen.